Habt ihr Usain Bolt schon mal gesehen, wie er sich vor einem Sprint die Oberschenkel dehnt? Oder Kraftdreikämpfer, wie sie sich die Brustmuskulatur vor dem Bankdrücken dehnen?

Sich vor dem Training zu dehnen ist bei vielen Sportlern leider immer noch gängige Praxis. Was viele jedoch nicht wissen: dadurch erhöht sich nicht nur das Verletzungsrisiko, auch die Leistung kann in der Trainingseinheit gemindert werden. Auch wenn es viele machen, ist es nicht automatisch richtig!

Dehnen schwächt den Tonus

Im Grunde kann man es ganz einfach erklären. Die Muskulatur weist immer eine gewisse Spannung auf, den sogenannten Tonus. Diese Spannung ist nötig, um körperliche Bewegungen zu verrichten. Und genau hier liegt auch das Problem. Wer sich vor einer Belastung dehnt, schwächt den Tonus, also die Spannung in der Muskulatur. Folgt darauf eine schwere (Maximalkrafttraining) oder explosive Belastung (Sprints), steigt das Verletzungsrisiko enorm. Die hier benötigte Spannung in der Muskulatur wurde größtenteils aufgehoben. Zudem werden die Gelenke, Bänder und Sehnen nicht mehr optimal unterstützt. Eine gelockerte Muskulatur muss dann erst wieder die benötigte Spannung aufbauen. Und genau in dieser Zeit ist auch das Verletzungsrisiko für Muskelverletzungen erhöht.

Sinnvolle Möglichkeiten der Erwärmung

Vor einer körperlichen Belastung macht es auf jeden Fall Sinn, die Zielmuskulatur sowie die beteiligten Gelenke zu erwärmen. Dies können leichte Übungen wie Armkreisen, Seilspringen, Übungen mit einem Latexband oder statische Übungen wie Unterarmstütz, Brücke oder Hang- und Stützübungen sein. Jedoch kann man auch hier Fehler machen. Wer sich beispielsweise auf ein Fahrrad setzt und im Anschluss den Oberkörper trainiert, sollte sie Sinnhaftigkeit dieser Erwärmung noch einmal überdenken!

Eine andere Möglichkeit ist es, mit leichtem Gewicht entsprechende Übungen für einen Satz auszuführen, z. B. Bankdrücken, Kreuzheben, Ruderbewegungen oder Kniebeuge ohne Gewichte und nur mit der Hantelstange und im Anschluss dann das normale Gewicht nutzen. Wer im Maximalkraftbereich trainiert kann sich auch in 10- oder 20kg-Schritten dem eigentlichen Gewicht Satz für Satz annähern.

Wann ist dehnen vor dem Sport dennoch sinnvoll?

Natürlich kann man nicht pauschal sagen, dass Dehnen vor dem Sport kontraproduktiv sei. Denn es gibt durchaus Sportarten, bei denen eine ausgiebige Dehneinheit im Vorfeld stattfinden muss. Bei akrobatischen und ästhetischen Sportarten wie Bodenturnen oder rhytmischer Sportgymnastik kommen viele Spreiz- und Grätschbewegungen vor. Gespreizte Flanken am Pferd, der Spagat am Boden oder die Planche an den Ringen. Hier muss sich natürlich vor der Trainingseinheit gedehnt werden, da die Übungen sonst nicht sauber genug ausgeführt werden können.

Auch bei Kraftsportarten wie beispielsweise Gewichtheben sollte man einige Muskeln gezielt aufdehnen, um sie nicht nur auf die anstehende Belastung vorzubereiten, sondern auch für die notwendige Beweglichkeit der Gelenke zu sorgen. Beim Reißen und Stoßen sind dies der Trizeps, die Außenrotatoren und der breite Rückenmuskel (für ein geschmeidiges Umsetzen der Hantelstange), die Waden und Achillessehnen (für eine möglichst freie Bewegung der Knie in der tiefen Hocke) und natürlich die Unterarme zum Schutz der Handgelenke.

In diesem Sinne – Sport frei!